Estland 08.06. - 17.06.2019

Bevor es nach Estland reingeht, laufen wir noch die sogenannte Nordmole bei Ainazi ab. Dieser knapp 700 m lange Steinwall markiert ziemlich genau die Grenze zwischen Lettland und Estland. Pärnu lassen wir links liegen und steuern den winzigen Hafen von Kavaru an. Er hat für fünf kleine Fischerboote Liegeplätze, einen Topgrill, überdachte Sitzgelegenheit und einen kleinen Spielplatz. Wir sind gerade mit dem Grillen der Würstel fertig, als es hinter uns ziemlich schwarz wird und rasch ein kräftiger Wind aufkommt. Die Familie mit dem kleinen Mädchen schwingt sich bald auf ihre Räder und wir verziehen uns in den Lkw, bevor der Sturm loslegt.

Heute geht es von Virtsu aus mit der Fähre nach Muhu, die drittgrößte estnische Insel. Wir lassen den LKW auf dem Parkplatz des Freilichtmuseums in Koguva stehen und machen uns mit den Rädern auf den Weg einen Teil der Insel zu erkunden. In Koguva gibt es einen winzigen Fischereihafen, direkt daneben ein gut aussehendes Boutiquehotel und ein kleines Café. Und ansonsten noch viele alte Steinhäuser, die sich vor dem Wind hinter bemooste Steinmauern ducken. Die Gärten sind wie immer riesig und der Rasen ist auch wie immer tiptop gemäht. Das ganze Dorf ist ein einziges Museum, da sparen wir uns den Eintritt. Auf kleinen Straßen mit kaum Verkehr radeln wir zu einer Windmühle, klappern eine historische Verteidigungsanlage ab, die zuletzt im 1. Weltkrieg hart von den Deutschen und Russen umkämpft war. Das nächste Ziel ist ein Leuchtturm im Norden der Insel. Der Weg dorthin ist mit etwas Seitenwind noch ganz in Ordnung. Der Leuchtturm ein Flopp - ein verrostetes Eisengestell im Gestrüpp - und der Rückweg hat es dann in sich. Strammer Gegenwind! Aber wir wollten uns ja mal wieder sportlich betätigen!

Zwischen Muhu und Saaremaa gibt es einen Damm, so dass wir ziemlich schnell bei unserem nächsten Wanderziel angekommen sind. Um den Koigi Moorsee führt ein Pfad. Zuerst aus Holzbohlen und bald schon wurden hier die alten Luftlandebleche einer neuen Bestimmung übergeben. Vorne und hinten liegen sie jeweils auf alten Autoreifen auf, so dass man mit ziemlich wippendem Gang durchs Moor laufen kann. Von den angepriesenen Tieren wie Elch, Dachs, Fuchs oder Luchs sehen wir natürlich wie immer nichts, aber immerhin entdecken wir, wenn auch nur ganz klein, mehrere Sonnentaupflanzen. Ja, man muss auch mal mit kleinen Dingen zufrieden sein. Nach so viel Natur zieht es uns weiter nach Kuressaare, der größten Stadt auf dieser Insel. In der Innenstadt wird leider gerade alles neu gepflastert, so dass nicht alles so ein tolles Flair versprüht. Aber der Marktplatz ist baustellenfrei, nett anzusehen und vor allem die bunten Holzhäuser in den Seitenstraßen gefallen mir sehr. Wir besuchen noch die Arensburg, die von den Deutschrittern im 14. Jahrhundert gegründet wurde. Mit ihren dicken Mauern kommt sie wuchtig daher. Der Innenhof ist auch viel kleiner, als wir von außen vermuteten. Die Überraschung ist dann die Ausstellung in den Innenräumen. Dort werden die letzten gut 100 Jahre der estnischen Geschichte aufgearbeitet. Viel Krieg, viel Besatzer, viele Deutsche, viele Russen. Es ist interessant, aber irgendwann zu viel und wir lesen nicht mehr alles, sondern schauen nur noch die Exponate an. Im Nordwesten der Insel wird in unserem Reiseführer ein „traumhafter Platz für abenteuerlustige Offroad Camper“ angepriesen. Es stellt sich dann heraus, dass man da mit jedem Auto hinfahren kann, aber traumhaft ist er wirklich! Nach ein paar Regentropfen, die wir am Lagerfeuer gut aushalten, bekommen wir noch einen superschönen Sonnenuntergang zu sehen. Der dauert halt bis fast dreiviertel zwölf. Kein Wunder, dass wir in der Früh immer nicht aus dem Bett kommen, wenn wir immer so lange aufbleiben müssen.

Bei heute mal bedecktem Himmel fahren wir über schöne Sandstraßen nach Panga, um an den bis zu 21 Meter hohen Klippen eine Wanderung zu machen. An einer Stelle kann man mit Hilfe eines dicken Taus zum Wasser runter klettern. Es ist immer wieder toll durch die Wälder mit den Kiefern, Birken und Wacholderbüschen zu gehen. Überall blüht es in allen Farben, nirgendwo liegt Müll rum, der Boden ist weich und die würzige Luft vermischt sich mit dem Salzgeruch des Meeres.. Wir wollen heute noch nach Hiiumaa rüber und kommen auf dem Weg zum Hafen am Mühlenberg von Angla vorbei. Dort stehen noch ein paar, zum Teil restaurierte, Windmühlen und im Haus nebenan wurde ein Museum eingerichtet. Wolfgang findet die alten Bohrmaschinen, Drehbänke und Bandsägen ganz interessant, auch die uralten Traktoren draußen, aber mein Ding ist das eher nicht so. Auch die schreckliche Wandverkleidung mit den griechischen Göttern aus Kunststein wirkt doch etwas deplatziert. Aber, die Geschmäcker sind verschieden. Am Hafen in Triigi angekommen, sehen wir dass in gut zwei Stunden, also um acht Uhr  die letzte Fähre geht. Super, so können wir noch ein leckeres Abendessen zubereiten und somit auch den Regen entgehen, bevor uns die Fähre nach Hiiumaa bringt.

Wir sind gestern noch zu einem Wanderparkplatz der estnischen Forstbehörde RMK gefahren. Die sind einfach toll. Ausgestattet mit überdachter Sitzgelegenheit, Müllcontainer, Trockentoilette, großem Grill einschließlich Feuerholz! Und das Ganze kostet nichts. In Deutschland zahlt man für einen halben Tag nur Parken am Tegernsee fünf Euro. Nach einer kleinen Runde Waldbaden ziehen wir weiter zu dem Leuchtturm in Köpu. Dieser wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts gebaut und ist somit der drittälteste Leuchtturm weltweit und immer noch in Betrieb. Für mich ein bisschen nervig sind die extrem hohen Stufen im Inneren. Aber ich hab’s rauf und runter geschafft. Heute ist bei uns Tag der Leuchttürme. Der nächste wartet in Tahkuna auf uns. Dadurch, dass er sehr exponiert auf der nördlichsten Landspitze von Hiiumaa steht, weht hier schon ein ziemlich laues Lüfterl. Wir verschieben den Strandspaziergang und machen bloß schnell ein paar Fotos. Danach müssen wir dringend zum COOP einkaufen. Das Sortiment ist ausgezeichnet, die Preise echt in Ordnung und der Laden sehr modern mit Handscannern ausgestattet. Wir laden also unseren Wagen voll, aber das Wichtigste ist diese extrem leckere Quarkcreme in allen möglichen Geschmacksrichtungen! Ganz toll ist wenig später der Besuch in einer Wollfabrik, wo noch mit 100 Jahre alten Maschinen Wolle zu Garn verarbeitet wird. Man sich alle Arbeitsgänge ansehen und dann gleich im kleinen Laden was kaufen. Wolfgang hat es ein wirklich schöner Pullover angetan und ich hab mir Fäustlinge gekauft. Wir hoffen natürlich, dass wir die Sachen erst in einem halben Jahr brauchen werden. Auf der Halbinsel Kassari spazieren wir noch auf die Landzunge Sääretirp hinaus, die sich ca. zwei Kilometer in die Ostsee zieht. Es weht da draußen schon ein kräftiger Wind, aber die Sonne scheint und es ist warm und wir finden die ersten reifen wilden Erdbeeren! Und das Beste, gleich hinter dem Parkplatz befindet sich schon wieder so ein super RMK-Platz. Gut, das wir Grillfleisch eingekauft haben.

Wir buchen noch schnell, also eher langsam wegen mangelnder Internetverbindung, ein Fährticket rüber aufs Festland und haben dann noch zwei Stunden Zeit. Wir kommen an dem ehemaligen Gutshof Suuremoisa vorbei, der jetzt eine Grund- und Technikschule beherbergt. Die prächtigen, mit zum noch erhaltenen Wandmalereien und Stuckarbeiten bzw. schon restaurierten Räume sind für alle Besucher frei zugänglich. Die Lernenden schauen zwar etwas irritiert, wenn man eine Türe aufreißt, aber dann büffeln sie fleißig weiter. Über die enge Bedienstetentreppe gelangt man in den Speicher, wo man die vier riesigen Kamine sehen kann. Irgendwo hängt noch ein Bild von Lenin an der Wand und, mit blutet fast das Herz, liegen viele alte Schullandkarten in einem Haufen in der Ecke. Im Park entdecke ich einen wunderschön angelegten Garten mit einem Seerosenteich. Ich denke ganz wehmütig an meinen Garten zurück. Auf dem Festland kommen wir in Haapsalu an einem alten, aufgelassenen Holzbahnhof vorbei. Ein schönes Gebäude, davor stehen noch alte Loks der Sowjets. Auf dem Weg nach Norden treffen wir auf Rummu. Auch hier wieder ein Relikt aus der Sowjetzeit. In dem ehemaligen Marmorsteinbruch mussten die Insassen des daneben liegenden Gefängnisses schuften. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR steht der gesamte Steinbruch einschließlich der Gebäude unter Wasser. Jetzt werden dort Tauchgänge und Kanufahrten zu den Häusern angeboten. Wir klettern auf die feinkiesigen Abraumhalden, die bizarren Formen sind von oben gesehen wie Messers Schneide. Leider wird es im Osten total schwarz und wir schaffen es gerade noch zum Auto, bevor es losprasselt. Wie immer haben wir dann an einem tollen Sandstrand einen Übernachtungsplatz gefunden.

Das hatten wir noch nie: es ist total nebelig draußen. Auch am Strand ist das Meer fast nicht zu erkennen. Okay, im LKW wird erst mal die Heizung eingeschaltet. 30 Kilometer später parken wir am Hafen von Tallinn. Um 12 Uhr beginnt die obligatorische free walking Tour mitten in der Altstadt. Wir brauchen gut zehn Minuten und sind auf der kurzen Strecke schon recht begeistert von der Stadt. Miriam führt uns dann von der Unterstadt hinauf in die Oberstadt, wo die Adeligen und Leute von Rang und Namen, wohnten wieder zurück nach unten. Mit ihrem perfektem Englisch und viel Witz erklärt sie uns die Stadtgeschichte, das Wesen der Estländer und ihre Beziehung zur Religion. Einzig der einsetzende Nieselregen und ein kalter Wind beeinträchtigen die tolle Führung. Wir wärmen uns danach in einem gemütlichen Café auf, bevor wir selbst noch in der Stadt rumstiefeln und uns dann zum Abendessen rüber nach Kalamaja aufmachen, um in einer Szenekneipe ein leckeres, aber teures Essen verspeisen. Wir frieren uns halb zu Tode und beschließen dann den Abend schon um halb Neun im Hiasl!

Schon wieder Wäschewaschen! Gleich neben dem Radisson - ein riesiger Wolkenkratzer - ist in einem einstöckigen Häuschen eine Wäscherei untergebracht und da können wir unsere Sachen in zwei Stunden wieder abholen. Wir wollen noch mal bei gutem Wetter, heute ist blauer Himmel, auf die Aussichtsterrasse bei der Alexander-Newski-Kathedrale und kommen deshalb auf dem Freiheitsplatz vorbei. Eine riesige Menschenmenge, alle mit estnischen und dänischen Fähnchen bewaffnet. Am Denkmal marschieren Soldaten diverser Waffengattungen in Paradeuniform auf. Wir reihen uns natürlich auch gleich in die Menge ein. Schwer bewaffnetes Sicherheitspersonal kontrolliert das Geschehen. Wir haben keine Ahnung um was es hier geht. Aber pünktlich um zwölf Uhr ertönen zwei Hymnen - estnisch und dänisch oder andersrum - und dann unter Jubel und Applaus tritt die dänische Königin Margarethe II. auf die Bühne, legt pro forma einen Kranz nieder, richtet ein bisschen die Schleifen und dann ist sie auch schon wieder weg. Aha! Und wir machen uns dann auch wieder auf die Socken. Also so nah waren wir noch nie einer Monarchin. Wegen der zwei Kreuzfahrtschiffe, die wir schon am Hafen „bewundern“ konnten, sind heute eine Unmenge an Touristengruppen in der Stadt unterwegs, so dass wir uns nach ein paar Fotos und einem Cappuccino in einer Bar abseits der Mengen schnell von dannen machen, unsere Wäsche abholen, einkaufen und noch zum nördlichsten Punkt des estnischen Festlandes fahren, wo sich auf der Halbinsel Pärispea praktischerweise ein RMK-Zeltplatz befindet. Und was für ein Glück, Barbara und Raimund stehen auch mit ihrem IVECO da. Ich mache mit Wolfgang noch einen Spaziergang hinaus auf die Spitze der Landzunge. Es ist so toll über die kleinen und großen runden Steine zu laufen, die Hundsrosen blühen überall und das Meer hat einen würzigen Geruch. Wir sitzen lange draußen, bevor wir dann noch einen letzten gemeinsamen Abend mit unseren „Nachbarn“ verbringen.

Das Wetter ist wieder traumhaft. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint und es weht nur ein mäßiger Wind. Mittags legen wir eine kleine Bewegungsradtour von 30 km nach Loksa zum Brotkaufen ein und über Vinistu geht es dann durch kleine Dörfer mit bunten Holzhäusern zurück zum LKW. Nun ist nur mehr lesen, schnitzen und Erdbeermarmeladekochen angesagt!

 

Unser letzter Tag in Estland! Und viel passiert heute gar nicht. Auf dem Weg zur russischen Grenze halten wir noch bei dem Gutshof Palme, der einen schönen Park haben soll und in dem man auch kostenlos reinkommt. Aber das haben sich die Gutsherren wohl anders überlegt. Sie haben die Eintrittspreise angehoben (9 Euro pro Person für Haus und Garten) und der Park kostet nun auch. Wir übersehen das Schild geflissentlich, schauen uns kurz den Park an, der gar nicht so toll ist, auf jeden Fall keine 18 Euro wert, machen ein paar Fotos und fahren dann auf der Schnellstraße bis kurz vor Narva auf einen Campingplatz bei einem Hotel. Denn wir wollen noch mal Wasser bunkern und eine gründliche Reinigung der Wohnung ist auch dringend nötig.

 

Wer sich für den ungefähren Reiseverlauf bis zum jetzigen Zeitpunkt interessiert: Sommerreise 2019

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